Liechtensteins weiße Fassade bröckelt
- Developer tester
- 24. Juni
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Das Fürstentum präsentierte sich jahrelang als sauberer Finanzplatz. Nun erschüttern neue Skandale sein Selbstbild. Es geht um Mafia-Geschäfte und die Veruntreuung venezolanischer Staatsgelder.

Am 15. August, dem katholischen Feiertag Mariä Himmelfahrt, empfängt die königliche Herrscherfamilie ihre Untertanen vor ihrem Schloss hoch über Vaduz. Dieses Jahr fallen die Feierlichkeiten wegen der Corona-Pandemie in kleinerem Rahmen aus. Erstmals findet der Staatsakt ohne Gäste aus dem In- und Ausland statt und wird ausschließlich online übertragen.
Normalerweise markiert der Nationalfeiertag auch das Ende der ruhigen Ferienzeit in Liechtenstein. Doch in diesem Sommer herrscht keine Ruhe. Und das hat nichts mit dem Coronavirus zu tun. Vielmehr erweist sich Liechtenstein einmal mehr als zentraler Schauplatz internationaler Finanzkriminalität.
Abgründe tun sich auf
Ein italienischer Mafia-Clan und eine Bande, die offenbar Venezuelas Staatskasse geplündert hat, sollen in Liechtenstein jahrelang im großen Stil Schwarzgeld gewaschen haben. Zudem geraten fünf der 14 liechtensteinischen Banken in schwere Turbulenzen, die auch durch fragwürdige Geschäftspraktiken ausgelöst wurden.
Die Vorfälle schädigen den Ruf des Fürstentums, das sich nach zahlreichen Steuerskandalen zuletzt von der internationalen Öffentlichkeit distanziert hatte. Regierung, Fürstenhaus und Vertreter der Finanzbranche beteuern seit Jahren bei jeder Gelegenheit, es habe sich reformiert und sei nun ein sauberer, „weißer“ Finanzplatz. Doch hinter der sauberen Fassade verbergen sich Abgründe.
Staatsanwaltschaft und Finanzaufsicht haben derzeit alle Hände voll zu tun, sowohl in Liechtenstein als auch international. So gibt es etwa den Fall eines Clans der kalabrischen 'Ndrangheta. Bei einer Großrazzia in der Schweiz und Italien wurden im Juli 76 Mitglieder der Mafia-Organisation festgenommen.
Teilweise wurden größere Bargeldbeträge abgehoben und nach Italien verbracht.
Spuren führen auch nach Liechtenstein. Verdeckte Ermittler, die den Clan infiltriert hatten, sagten aus, dass Schwarzgeld zwischenzeitlich auf einem Konto bei einer Liechtensteiner Privatbank gelagert worden sei. Größere Summen seien teilweise bar abgehoben und mit dem Auto nach Italien transportiert worden. Es wird von Millionenerlösen aus Drogen-, Waffen- und anderen illegalen Aktivitäten gesprochen.
Liechtenstein war auch bei den Machenschaften der sogenannten Venezuela-Connection hilfreich, die angeblich Milliarden Dollar an Staatsgeldern des südamerikanischen Landes ins Ausland schmuggelte. Die Staatsanwaltschaft in Miami verdächtigt einen Schweizer Anwalt, 4,5 Milliarden Dollar für die Betrüger gewaschen zu haben. Ermittler gehen davon aus, dass auch eine Liechtensteiner Großbank und ein Treuhänder involviert waren.
So soll etwa ein hochrangiger venezolanischer Regierungsbeamter 250 Goldbarren in einem Hochsicherheitsbunker im Dorf Triesen zwischengelagert und später verkauft haben. Auch bei den Ermittlungen gegen die kleine Union Bank in Vaduz spielen venezolanische Geschäftsbeziehungen eine Rolle.
Entlassener Chef und Selbstauskunft
Sie ist nicht die einzige Bank in Liechtenstein, die in Schwierigkeiten steckt. So ist beispielsweise die Sigma Bank AG in dubiose Geschäfte verwickelt. Seit März 2019 ist sie eine eigenständige Tochter der Sigma Kreditbank AG, die wiederum Mikrokredite bis zu 7.500 Euro ohne nennenswerte Sicherheiten vergibt. Die Kunden kämen laut Vaduz besonders häufig aus Deutschland. Darunter seien auch solche, deren Kreditanträge die Bonitätsprüfung nicht bestanden hätten, heißt es. Beide Sigma-Banken gehören dem extrovertierten Milliardär Martin Schlaff, einem der reichsten und einflussreichsten Männer Österreichs.
Bis zu ihrer Übernahme im Jahr 2019 firmierte die Sigma Bank AG als Volksbank und war eine Filiale der Volksbank im österreichischen Bundesland Vorarlberg. Die (ursprünglich bei der Sigma Bank liegenden) „Compliance-Mängel“ sollen aus dieser Zeit stammen. Daraufhin stellte sich die Bank selbst und entließ ihren Vorstandsvorsitzenden Stefan Wolf sowie ein weiteres Mitglied der Geschäftsführung mit sofortiger Wirkung.
Weder die Bank selbst noch Sprecher der Finanzmarktaufsicht (FMA) und der Staatsanwaltschaft Vaduz wollten sich unter Berufung auf laufende Ermittlungen zu den konkreten „Compliance-Mängeln“ äußern. Die Zeitung „Wirtschaft Regional“ berichtete von systematischer Geldwäsche im großen Stil. Kriminelle Kunden hätten die auf Anlageberatung und Vermögensverwaltung spezialisierte Bank mit falschen Angaben getäuscht. Sicherheitsvorkehrungen hätten offensichtlich versagt. Der ehemalige Eigentümer der Sigma Bank, die Volksbank Vorarlberg, weist jede Verantwortung zurück.
Hektik am Finanzmarkt
Auch der Alpinum Bank wurde mangelnde Sorgfaltspflicht bei gewissen Transaktionen vorgeworfen. Ihr drohte seit 2018 der Entzug der Banklizenz. Die FMA hat das entsprechende Verfahren nun eingestellt, allerdings unter strengen Auflagen. Die Gründe für die überraschende Entlassung zweier Topbanker der VP Bank, dem drittgrößten Finanzinstitut nach der fürstlichen LGT und der Landesbank, liegen weiterhin völlig im Dunkeln. Und die deutlich kleinere Mason Private Bank kämpft angesichts roter Zahlen und einer Krise ihres Mutterhauses in Hongkong ums Überleben.
Es geht geschäftig zu auf dem Finanzplatz, dem das gerade einmal 38.000 Einwohner zählende Fürstentum einen Großteil seines Wohlstands verdankt. Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen zählt der Alpen-Kleinstaat zu den reichsten Ländern. Der Finanzplatz ist auf Vermögensverwaltung spezialisiert. Die 14 Banken verwalten insgesamt 161,5 Milliarden Euro an Kundeneinlagen; inklusive Auslandsgeschäften sind es sogar 325 Milliarden Euro.
Nun wachsen die Sorgen um Ruf und Geschäft. „Wir nehmen die laufenden Ermittlungen gegen einzelne Institute bzw. deren Vertreter mit Sorge zur Kenntnis“, sagt Simon Tribelhorn, Geschäftsführer des Liechtensteinischen Bankenverbandes. „Sollten die laufenden Ermittlungen Unregelmäßigkeiten aufdecken, müssen die Betroffenen zur Rechenschaft gezogen und sanktioniert werden.“
Es ist also nicht nur das Coronavirus, das die festliche Stimmung trübt. Immerhin erhält jeder Bürger eine kostenlose Landesfahne zum Hissen am Nationalfeiertag. Damit sieht das Fürstentum Liechtenstein wenigstens bunt geschmückt aus.



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