Liechtenstein: In verräterischen Händen
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- 24. Juni
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Sie waren die heimlichen Herrscher Liechtensteins und verwalteten Milliarden: die Treuhänder. Nachdem das Fürstentum nun sein Bankgeheimnis aufgeweicht hat, kommen erstaunliche Betrugsfälle ans Licht.

Bis er wegen eines Kosmetikunternehmens im Gefängnis landete, war Treuhänder Harry Gstöhl in Liechtenstein ein hoch angesehener Mann. Ausgezeichnet mit dem Titel „Fürstlicher Justizrat“ verwaltete er über seine Kanzlei Stiftungen und Unternehmen für vermögende Klienten. Parallel dazu amtierte er als Präsident des Verwaltungsgerichtshofs und später zwölf Jahre lang als Präsident des Verfassungsgerichtshofs, vergleichbar mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht. Niemand sah in seinen vielfältigen Tätigkeiten einen Interessenkonflikt; Gstöhl galt als Symbol für Integrität und Verlässlichkeit.
Doch dann wollte Gstöhl gemeinsam mit einem brasilianischen Neurologen – der ihn angeblich von Krebs geheilt hatte – in Italien eine Kosmetikfirma gründen. Mit einem Selbstbräuner für die Haut, den man einfach trinken muss, sollten sie den Markt erobern.
Gstöhl schuf rund um das Unternehmen eine komplexe Struktur aus Firmen und Stiftungen, die die Geldflüsse verschleiern sollte – so wie es Treuhänder oft für ihre Klienten tun. Die Kosmetikfirma in Mailand gehörte einer Firma in Wien, die wiederum einer Holding in Zypern gehörte, die wiederum einer Gstöhl zuzurechnenden Familienstiftung gehörte.
Arzt und Millionen weg
Gstöhl investierte zunächst sein Privatvermögen in die neue Firma. Solange es reichte. Als es aufgebraucht war, begann er, das Geld seiner Kunden zu veruntreuen. Als Treuhänder hatte er vollen Zugriff auf deren Konten – und deshalb sitzt Harry Gstöhl, heute 70, hinter Gittern. Verurteilt zu sechs Jahren Haft wegen schweren Betrugs, Untreue und Geldwäsche.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gstöhl hat zwar seine Schuld eingestanden, hält das Strafmaß aber für zu hoch. Derzeit läuft ein zweiter Prozess gegen ihn. Im ersten Verfahren ging es nur um Fälle ab 2010 und um insgesamt 13 Millionen Franken. Die Staatsanwaltschaft schätzt jedoch, dass der Treuhänder bis zu 50 Millionen Franken veruntreut hat.
Der Arzt, mit dem Gstöhl eine Affäre hatte, ist verschwunden. Die Millionen auch. In Liechtenstein spricht man bereits vom grössten Betrugsfall in der Geschichte des Fürstentums. Für den Finanzplatz ist das eine Katastrophe. Zwar wurde es im Fürstentum lange geduldet, dass Treuhänder und ihre reichen Klienten ausländische Steuerbehörden betrogen, doch die Klienten selbst waren es sicher nicht.
Eingezwängt zwischen der Schweiz und Österreich, weniger als 50 Kilometer südlich des Bodensees, liegt Liechtenstein, der sechstkleinste Staat der Welt. Im Tal grenzt er an den noch jungen Rhein, im Gebirge an den 2.599 Meter hohen Grauspitz. Liechtenstein hat zwar nur 36.000 Einwohner, doch gerade diese geringe Größe des Fürstentums macht seinen Finanzplatz umso wichtiger. Vor allem dank seiner Treuhänder.
Die meisten von ihnen sind Männer in maßgeschneiderten Anzügen, die diskret und still die Stiftungen und Unternehmen der Reichen dieser Welt verwalten und dabei versuchen, die Anonymität ihrer Klienten zu wahren. Jahrzehntelang haben sie ihre Privilegien gepflegt, die die Treuhänder unter anderem vor Strafverfolgung schützten.
Als das Geld nicht mehr reichte, nahm er seinen Kunden
Doch seit das Fürstentum das Bankgeheimnis abgeschafft hat, stockt das Geschäft der 146 konzessionierten Treuhänder und 250 Trustgesellschaften. Zwar befindet sich das Fürstentum nach Jahren der Krise wieder im Aufschwung – die Kundenvermögen stiegen im vergangenen Jahr um 25 Prozent auf 294,3 Milliarden Franken – doch die Treuhänder stecken in der Krise.
Immer mehr Kunden wollen ihre Verträge kündigen, Stiftungen auflösen oder auf Schadenersatz klagen. In Liechtenstein ist dies ein neues Phänomen. Jahrzehntelang konnten Treuhänder nahezu sicher sein, dass ihre Kunden im Falle eines Fehlverhaltens keine rechtlichen Schritte gegen sie einleiten würden. Hätte dies der Fall sein können, hätten sie ihre eigenen, oft dubiosen Geschäftsbeziehungen den Strafverfolgungsbehörden offenlegen müssen.
7 Milliarden Euro Nachzahlung
Doch dann, vor zehn Jahren, begann Liechtensteins Status als Finanzplatz zu wanken. Es war der 14. Februar 2008, im Kölner Vorort Marienburg standen Scheinwerfer auf einer weißen Villa. Klaus Zumwinkel , damals Chef der Deutschen Post, wurde vor laufenden Kameras zum Verhör abgeführt. Seine Haut war blass, sein Blick gesenkt, flankiert von seinem Anwalt Hanns Feigen und Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen. Das Bild hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Es ist zum Symbol für die Gier der Reichen und der Steuerhinterzieher geworden.
Zumwinkel hatte ein millionenschweres Stiftungskonto bei der liechtensteinischen Bank LGT, dessen Kapitalerträge er nicht versteuerte. Der Betrug flog auf , weil die Bundesrepublik geheime Bankdaten von über 700 Deutschen für 4,5 Millionen Euro erwarb. Deutschlands Steuerhinterzieher gerieten in Panik, meldeten sich tausendfach selbst und zahlten allein bis Anfang 2010 über 626 Millionen Euro an den Fiskus.
Zudem wurden Bußgelder in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro verhängt. Dieser Erfolg hatte Schule gemacht. Im Februar 2010 kaufte Nordrhein-Westfalen Daten der Credit Suisse. Viele weitere umstrittene Deals sollten folgen. Seit dem Frühjahr 2010 meldeten sich rund 135.000 Steuerhinterzieher, die ihre Auslandsinvestitionen nicht deklariert hatten. Sie zahlten dem Fiskus fast sieben Milliarden Euro an Nachzahlungen.
Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück kritisierte Liechtenstein, es lebe „weitgehend von Steuerhinterziehung“. Diplomatisch herrschte eine frostige Zeit zwischen den beiden Staaten. Auch andere europäische Länder stellten das Fürstentum an den Pranger. Nach jahrelangem internationalen Druck gab das Fürstentum schließlich sein heiligstes Gut auf: das Bankgeheimnis. 2013 kündigte es an, künftig automatisch Steuerinformationen mit anderen Ländern auszutauschen.
Gerichte als „Dienstleister“
Liechtensteiner Treuhänder hatten bereits jahrelang gegen die bevorstehende Gesetzesänderung lobbyiert. In einem Brief legten sie beispielsweise 17 Forderungen an die liechtensteinische Regierung vor. Sie forderten Mitspracherecht und Sitz in „allen wichtigen nationalen und internationalen Fachinstitutionen, Arbeitsgruppen und Delegationen“, eine liberale Auslegung der Gesetze und Mitspracherecht beim Abschluss von Steuerinformationsaustauschabkommen mit anderen Ländern.
Zudem wollten die Treuhänder die drohenden rechtlichen Folgen ihrer langjährigen Praxis abfedern, indem sie vom Staat Rechtssicherheit forderten. „Weder Klienten noch Treuhänder werden kriminalisiert“, forderten sie. Behörden, Finanzmarktaufsicht und Gerichte sollten sich als „Dienstleister“ verstehen. Anders gesagt: Sie sollten den Treuhänder über das Gesetz stellen. Doch diese Forderungen blieben wirkungslos.
Seit sich die Klienten der Treuhänder durch Selbstanzeige oder Strafverfolgung der Illegalität entziehen konnten, häuften sich die Klagen und Anzeigen gegen die Firmen. Im April dieses Jahres klickten beispielsweise erneut die Handschellen. Diesmal traf es Mario Staggl. Der Chef der New Haven Treuhand AG gehörte seit der Eröffnung seiner Szenebar Esquire zur liechtensteinischen High Society. Nun sitzt der 53-Jährige in Untersuchungshaft. Der Mann mit den gegelten grauen Haaren gab sich gegenüber den Medien gerne als Finanzexperte aus und philosophierte über die Zukunft des Finanzplatzes. Gegen Staggl ermittelt nun das Fürstliche Landgericht wegen des Verdachts der Untreue, der Untreue, des schweren gewerbsmäßigen Betrugs und der Geldwäscherei.
Anfang April zeigte ihn ein Mitarbeiter seiner Treuhandgesellschaft an. Dokumente, die Capital vorliegen, zeichnen das Bild eines Mannes, der sich schamlos an den Konten seiner Kunden bediente. Darunter befand sich auch ein deutscher Trust, von dem Staggl 275.000 Schweizer Franken auf sein Konto in New Haven überwies. Angeblich als „Überbrückungskredit“, den er innerhalb der nächsten drei Monate zurückzahlen wollte. Seit zwei Jahren sei dies nicht mehr geschehen, heißt es in den Dokumenten.
Steuerhinterziehung im Ausland galt nicht als Straftat
Insgesamt soll Staggl mehrere Millionen Franken veruntreut haben. Mal kleinere fünfstellige, mal mehrere Millionenbeträge. Nachdem er ein Treuhandkonto fast geleert hatte, plötzlich aber aufgefordert wurde, eine Zahlung von zwei Millionen Dollar zu genehmigen, nutzte Staggl die Überweisung einfach von einem anderen Konto. Einige der Zahlungen, die auch auf Staggls Privatkonto landeten, soll er intern als „Sonderhonorare“ gerechtfertigt haben. Seine Kunden wussten davon nichts. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, drohen auch Staggl mehrere Jahre Gefängnis.
Dass Staggl überhaupt vor Gericht steht, ist erstaunlich. Staggl wurde seit fast zehn Jahren in einem anderen Fall von den US-Behörden gesucht – hatte sich in Liechtenstein jedoch der Strafverfolgung entzogen. Staggl war eine zentrale Figur im Skandal um die Großbank UBS, der das Schweizer Bankgeheimnis erschütterte. Gemeinsam mit dem ehemaligen UBS-Vermögensberater und späteren Whistleblower Bradley Birkenfeld soll Staggl dem US-Immobilienmilliardär Igor Olenicoff geholfen haben, über Liechtensteiner Firmen Steuern in Höhe von 200 Millionen Dollar zu hinterziehen.
Der Fall löste einen Steuerstreit gigantischen Ausmaßes zwischen der Schweiz und den USA aus. Schließlich kooperierte die UBS mit den US-Behörden, übergab ihre Kundendaten und zahlte 780 Millionen Dollar, um sich freizukaufen. Im August 2009 wurde Birkenfeld, der gestand, zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Staggl hingegen blieb in Liechtenstein und hatte dort nichts zu befürchten. Steuerhinterziehung im Ausland galt in Liechtenstein nicht als Straftat. Erst 2013 wurden die Gesetze zu „schweren Steuerdelikten“ verschärft.
Schon vor Staggls Verhaftung im April warnte ein anderer Liechtensteiner Treuhänder vor den Zuständen in seiner Branche: Roger Frick schrieb im vergangenen Oktober einen flammenden Brief an seine Kollegen. Der Brief, der Capital vorliegt, klingt wie eine Bankrotterklärung der Branche. Frick berichtet von Beschwerden aus der Schweiz, London, Japan, Mexiko und Buenos Aires über „eine zunehmende Zahl von Finanzintermediären aus Liechtenstein“, die unter Berufung auf ihren Ermessensspielraum Mandate blockierten, Steueranpassungen verweigerten und gleichzeitig ihre Gebühren erhöhten.
„Ich höre aus Zürich, dass man sich die Zusammenarbeit mit liechtensteinischen Finanzintermediären nun zweimal überlegt, da das Ganze als Erpressung empfunden wird“, schreibt Frick. Er ist mittlerweile überzeugt, dass die Behandlung von Kunden als „Selbstbedienungsladen“ in manchen Fällen ein Geschäftsmodell sei. „Ich halte ein solches Verhalten für schädlich, rücksichtslos“ und für den Finanzplatz schädlich. Frick warnt: „Im Mittelpunkt steht der Kunde, nicht die Struktur.“
Sein Ziel: Mandanten den Wechsel des Treuhänders zu erleichtern. Bislang war die Bindung zwischen Treuhänder und Treugeber wie eine Ehe. Sie hält ein Leben lang, in guten wie in schlechten Zeiten. Eine Scheidung ist nicht vorgesehen. Seiner E-Mail fügte er eine Petition bei, in der er eine Änderung der Berufsordnung forderte.
Die Antwort kam prompt – und sie fiel nicht positiv aus. Angelika Moosleithner-Batliner, Präsidentin der Treuhänderkammer, schrieb an ihre Kollegen: „Wir bitten Sie, von der Unterschrift unter Herrn Fricks Dokument abzusehen.“
Die Fälle werden unter der Überschrift „kinderlose Witwen“ klassifiziert.
Moosleithner-Batliner ist selbst eine bekannte Persönlichkeit unter liechtensteinischen Treuhändern. Sie ist die Tochter von Herbert Batliner. Er gilt als Erfinder der Familienstiftung – einer Möglichkeit für wohlhabende Familien, ihr Vermögen diskret an die nächste Generation weiterzugeben. Die 89-jährige Juristin trägt stolz den Titel „Fürstlicher Kommerzienrat, Senator h.c.“ auf ihrem Briefkopf und ist „Kämmerer Seiner Heiligkeit“.
Er war, wie Harry Gstöhl, mehrere Jahre Präsident des Staatsgerichtshofs. Zu Batliners Mandanten zählten der Milliardär Friedrich Karl Flick und der Springreiter Paul Schockemöhle. Batliner unternahm Wanderungen mit Altbundeskanzler Helmut Kohl – eine Spur in der CDU-Parteispendenaffäre führte zu ihm. All dies wurde Ende der 1990er Jahre bekannt, als Batliners Mandantenakten an Medien und Behörden gelangten.
Schon damals gab es in Deutschland den ersten Steuerskandal. Die Ermittlungen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in über 200 Fällen dauerten sieben Jahre. Im Sommer 2007 wurden sie gegen eine Zahlung von zwei Millionen Euro eingestellt. Batliner war krank, ärztliche Atteste belegen das. „Wir hätten keine Chance gehabt, ihn vor ein deutsches Gericht zu bringen“, sagte ein Ermittler damals.
Im hohen Alter wurde Herbert Batliner schließlich verurteilt. Diesmal in Liechtenstein. Und selbst dann blieb dem Treuhänder der Vorwurf des Betrugs – nicht der Steuerhinterziehung im Ausland – verwehrt. Im Dezember 2009 verurteilte ihn der Oberste Gerichtshof in einem Zivilprozess. Es galt als erwiesen, dass Batliner die Gesundheit einer dementen Witwe zu seinem persönlichen Vorteil ausgenutzt hatte. Der Treuhänder wurde zur Rückzahlung von einer Million Euro an die Erben verurteilt.
„Es gibt eine ganze Reihe solcher Fälle“, sagt der Konstanzer Rechtsanwalt Jürgen Wagner, der seit Jahren Mandanten vertritt, die von Treuhändern geschädigt wurden. Er bezeichnet diese Fälle als „kinderlose Witwen“. Oft liege der Fall vor, dass eine Familienstiftung gegründet wurde, die Erben aber trotz ihres Anspruchs auf das Vermögen nichts von der Stiftung wüssten – und die Treuhänder, die über die Unterlagen verfügen, sie nicht darüber informierten. Viele Mandanten hätten sich ihren Treuhändern ausgeliefert, sagt ein anderer Anwalt einer renommierten deutschen Kanzlei: „Die Treuhänder sind oft kaltblütige Menschen, denen es nur ums Geld geht.“
Auch Rechtsanwalt David Christian Bauer, Spezialist für Stiftungsrecht bei der Kanzlei DLA Piper in Wien, fordert, Missbrauchsfälle durch Treuhänder müssten "hart bestraft" werden. Andernfalls drohe Liechtenstein eine Verlustlawine. "Wenn die Rückzugsbewegung erst einmal Fahrt aufnimmt", sagt Bauer, "ist sie nicht mehr aufzuhalten."
Die Treuhänder scheinen nun Fortschritte zu machen. Nach Roger Fricks Petition, Kunden die Möglichkeit zu geben, ihren Treuhänder zu wechseln, lenkte die Treuhänderkammer ein. Ende Mai richtete sie eine dreiköpfige Schiedskommission ein, die Streitigkeiten zwischen Kunden und Treuhändern „schlichten“ soll. Auf diese Weise will die Kammer „den Ruf des Stiftungsstandortes schützen“. Ein Insider nennt sie schlicht einen Rettungsanker, um nicht von der Finanzmarktaufsicht in die Enge getrieben zu werden.



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